Fair for Future – ein gerechter Handel ist möglich Nach über 50 Jahren Fairer Handel eine Geschichte der Bewegung und die Frage nach deren Zukunftsfähigkeit – ein Erfahrungsbericht und ein Anspruch
Gerd Nickoleit, Mitbegründer des Fairhandelshaus GEPA und einer der Protagonisten des „Alternativen Handels“, und seine Tochter Katharina Nickoleit, als Journalistin auch im Globalen Süden aktiv, bieten nicht nur eine Fülle von profundem Insiderwissen zu der Geschichte der Bewegung seit den 70ern. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Veränderungen entsteht ein plastisches Bild der engagierten Versuche, neue Wege zu einer gerechteren Weltwirtschaft zu finden.
Worum geht es?
Die Ursprünge der Bewegung
In der Aufbruchstimmung der 68er Jahre waren es Jugendliche und junge AktivistInnen, die die Abkehr vom „nachkolonialen Ausbeutungssystem“ forderten. Da sie über die wirtschaftlichen Zusammenhänge aufklären wollten, dienten die ersten Produkte des Alternativen Handels vornehmlich als Symbol – Stichwort „Jute statt Plastik“-Tasche.
Ihre revolutionären Ansichten wurden in der Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen, auch wenn sich die Bewegung selbst immer wieder Grabenkämpfe lieferte.
Im Lauf der 70er Jahre schärft sich das Profil der Ziele des Fairen Handels. Mit der Gründung der WFTO – World Fair Trade Organisation – wird ein entscheidender Schritt getan hin zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Produzenten des globalen Südens. Aber es treffen Welten aufeinander! Sehr anschaulich schildern die Nickoleits die kulturellen und sprachlichen Missverständnisse der ersten Jahre, das Aufeinanderprallen von Konventionen, die mangelnden Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Die GEPA – gegründet 1975 - hält an der Idee fest, durch den unmittelbaren Handel zu gesellschaftlichen Veränderungen in den Ländern beizutragen. Gezielt werden benachteiligte Bevölkerungsgruppen angesprochen, die durch den Verkauf auch kleinerer Mengen an Kaffee, Kakao oder Tee ihr Einkommen absichern können.
Schon bald zeichnet sich ab, dass es ohne diesen direkten Austausch, Schulungen, Werbung für die Prinzipien dieser Handelsbeziehungen vor Ort nicht geht. Die Gründung der World Fair Trade Organisation (WFTO) wird damals zum Meilenstein.
Anhand einer Art Zeit- und Weltreise und belegt mit vielen authentischen Beispielen aus der Praxis werden die Kriterien des Fairen Handels verdeutlicht und nachvollziehbar.
„Raus aus der Nische“ – so benennen die Nickoleits die kritische Phase der 1990er Jahre für den Fairen Handel. Die neuen Parameter durch die „Liberalisierung“ des Handels, durch die Globalisierung und rasante Entwicklung der Schwellenländer setzen auch den Fairen Handel unter Druck. Es geht ab sofort um Gewinnmaximierung, neue Absatzmärkte, um Preisgestaltung – die einschneidende Entwicklung allein auf dem Kaffeemarkt zeigt, mit welchen Gefahren die Produzenten und Händler ab sofort rechnen müssen.
Die GEPA und andere Handelsorganisationen setzen seit 1988 auf Siegel für fair gehandelte Produkte, um damit auf dem Markt im Inland Qualitätsstandards sichtbar zu machen. Sie hören von Unternehmensberatern: “Ihr wollt doch was verkaufen. Da müsst Ihr den Kunden im Blick haben, nicht den Produzenten.“ Das hat Folgen für geänderte Produktentwicklungen und die Ausstattung der Weltläden. Fachleute, nicht idealistische Überzeugungstäter scheinen gefragt, um die heikle Balance zwischen „fair und profitabel“ zu halten. Dazu kommt heute auch noch das vermehrte Verbraucherinteresse an Produkten „fair und bio“ - ein z. T. noch schwer realisierbares Ziel unter fairen Bedingungen.
Offen werden die neuen Herausforderungen für den Fairen Handel benannt, die intern Auseinandersetzungen zum Selbstverständnis, zur Kommerzialisierung, zur Position in und gegenüber dem konventionellen Handel provozieren. Es wird deutlich, vor welchen Fragen der Faire Handel bis heute steht: ist und bleibt er eine Vision - wenn auch eine kleine - ein Projekt mit Strahlkraft in die Umgebung?
Detailreich werden die kritischen Auseinandersetzungen innerhalb der Branche benannt, an denen Gerd Nickoleit sich maßgeblich beteiligt. Das ursprüngliche politische Anliegen der Bewegung, nämlich die Schaffung von weltweit gerechten Rahmenbedingungen für Handel und Landwirtschaft, bleibt in seinem Fokus.
Zukunftsfähigkeit
Aus diesen oben angesprochenen Fragen entwickelt der letzte Teil des Buches eine nüchterne Zwischenbilanz vor dem Hintergrund der aktuellen Verunsicherungen und Umbrüche in Politik und Gesellschaft weltweit. Statt mit einem postkolonialen System hat es der Faire Handel heute mit der imperialen Lebensweise zu tun, mit meist ungebremsten Auswüchsen in ausbeuterischer Landwirtschaft und rücksichtsloser Umweltzerstörung. Das Credo des ständigen Wirtschaftswachstums wird zwar hierzulande konterkariert durch Forderungen wie „Mensch und Umwelt vor Profit“. Die AutorInnen haben einen klaren Blick auf diese Veränderungen - ein beredtes Beispiel ist das der Fußballindustrie -, bis hin zu der möglichen Konkurrenz der ausländischen Importeure zu den hiesigen „Entwicklungsländern des Nordens“.
Aktuell registrieren sie auch, dass Leitlinien und langjährige Kriterien des Fairen Handels in die erste Formulierung des Lieferkettengesetzes eingeflossen ist. Und nicht zufällig spielt der Buchtitel mit der Nähe zu den Forderungen der jungen KlimaaktivistInnen der fff, die angesichts der Umweltzerstörung und globalen Katastrophen noch offensiver und kompromissloser formulieren als vor 50 Jahren die ersten Bewegten des Alternativen Handels.
Das Buch schließt mit dem Satz:
„Der faire Handel muss sich als wichtiger Teil der neuen konsumkritischen und zukunftsorientierten Bewegung verstehen. Denn trotz allem, was erreicht wurde, haben wir eigentlich gerade erst richtig angefangen.“
Was kann das Buch?
Es kann einen gut lesbaren Blick bieten in Geschichte und Gegenwart des Fairen Handels, Es vermittelt Ideen und Erfahrungen eines langjährigen Insiders und seiner Mitstreitenden. Es kann animieren, Umbrüche und Lösungsansätze mitzudenken vor dem Hintergrund der jeweiligen wirtschaftlichen und soziokulturellen Veränderungen.
Für wen ist es geschrieben?
Für alle, die sich mit der Idee des Fairen Handels verbunden fühlen, beruflich, ehrenamtlich oder als KundIn. Für diejenigen, die die Frage nach globaler Gerechtigkeit in Gesellschaft, in Arbeit und Wirtschaft umtreibt, die nach Wegen zu nachhaltiger Entwicklung „fair for future“ suchen.
Warum sollte mich das interessieren?
Weil es neben einer bewussten Verbraucherrolle auch die Sicht auf politisches Handeln anregen kann.
Wie ist es geschrieben ?
Es ist ein informatives Sachbuch, aber auch ein persönliches Buch voll authentischer Geschichten und Gespräche – lebendig geschrieben, sehr gut lesbar.
Kostprobe:
Interview zur Buchpremiere und Diskussion
https://www.youtube.com/watch?v=ubYWiUehgeg&t=21s
Fair for Future – ein gerechter Handel ist möglich
Nickoleit, Gerd und Katharina Nickoleit
Ch. Links Verlag, 2021, 224 S., 18 €
Tipps zum Weiterlesen:
Fair einkaufen - aber wie? Handbuch für fairen Konsum
Martina Hahn, Frank Herrmann
Verlag Brandes & Apsel, 2019. 6. Auflage. 429 S.
Gut aufgebauter und gegliederter Einkaufsratgeber mit interessanten Hintergrundinformationen.
Fairer Handel. Chancen, Grenzen, Herausforderungen.
Hrsg.von Katharina Gröne u.a.
Oekom Verlag, 2020. 228 S.
9 Beiträge zum aktuellen Stand der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung im deutschsprachigen Raum zum Themenfeld des Fairen Handels.
Fair Trade – Ein Konzept nachhaltigen Handelns
Michael von Hauff, Katja Claus
utb Verlagsgesellschaft, 2018. Studienausgabe. 267 S.
Zentrale Argumentationslinien zu Fair Trade, Aspekte der entwicklungspolitischen Wirksamkeit dieser und anderer Konzepte. Für politisch Interessierte und Studierende.
Ute Kocks